Sonntag, 14. Januar 2018

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (227): Die Blockierung frühkindlicher Entspanungszustände als Basis für Bindungsstörungen


foto: pixabay
Bei der karthartischen Ausdrucksarbeit, also der klassischen Körpertherapie auf hohem Erregungsniveau, besteht die Funktion des Therapeuten u. a. darin, die emotionalen Impulse, die beim Klienten zum Ausdruck drängen, zu unterstützen. Dies geschieht organismisch, indem er körperlich-energetisch mitschwingt (»vegetative Identifikation« bei Reich, »affect atunement« bei Daniel Stern). Dies geschieht sowohl körpersprachlich als auch verbal. Ersteres richtet sich an die präverbale Präsenz des Kindes, letzteres an die kognitive Ebene. Indem der Körpertherapeut ermunternde oder katalytische Worte benutzt (»ja, genau, drücke es vollständig aus, komme ganz heraus damit, gib alles usw.«). Damit setzt der Körpertherapeut den Kontrapunkt zu den blockierenden Botschaften der Eltern, die die emotionalen Impulse hemmten und auf diese Weise die charakterliche Identifizierung des Kindes mit der Hemmung bewirkten.

Wenn ein Mitschwingen, die sog. »vegetative Identifikation«, in der energetischen Erregungsphase eine zentrale Rolle spielt, könnte dies dann nicht ebenso auf die Entregungsprozessen zutreffen?

Hinweise gab es. Ich erinnere an die bereits erwähnten Phänomene der Gehirnwellenmuster in der perinatalen Entwicklung. Darüber hinaus existierte das Mysterium einer »postorgastischen Trance«, jenem tranceartigen Entspannungszustand nach dem Orgasmus, der häufig mit Gefühlen inneren Friedens und äußerer Bindung einhergeht das Phänomen trat ja nicht nur in der erwachsenen Sexualität auf, sondern ließ sich bereits beim »oralen Orgasmus« des Säuglings und nach dem Stillen beobachten.

Alle Fäden liefen in der Hypothese zusammen: Chronische Blockierung von Entspannungszuständen beim Säugling bildet die Basis für die Bindungsstörungen der ersten Lebensmonate. Pulsationszustände von Aktivität und Ruhe, von Erregung und Entregung, schaffen einen Energieausgleich, eine energetische »Harmonie« (Mesmer). Beeinträchtigungen dieser Pulsation in Richtung Entregung, verursacht durch soziokulturelle Entwicklungen, stehen mit der Zunahme von Bindungsstörungen in Zusammenhang. Die Erweiterung der Körpertherapie um den Bereich energetischer Entregung eröffnet einen Weg, Bindungsdefizite zu beeinflussen.

Allerdings führte diese Hypothese zu einer entscheidenden Fragestellung: Spielte es dabei eine Rolle, ob eine Tiefenentspannung ein einzelner Vorgang auf Seiten des Klienten oder eine gemeinsame, eine verbundene, eine Bindungserfahrung darstellte?

Falls dies der Fall sein sollte, galt es allerdings ein Hemmnis zu überwinden, nämlich die Definition und das Selbstverständnis der Therapeutenrolle. Beide bedurften einer Neubestimmung.

Aus der Tradition von Schulmedizin und Psychoanalyse stammt die Haltung, dass der Therapeut beobachtet, aber auch steuert und letztlich kontrolliert, was in Sitzung Platz hat und was nicht. Dies gilt für die Begegnung als solche und insbesondere für die regressiven Zustände des Klienten. Beides bedürfte einer Korrektur. Die Herausforderung bestand darin, im energetischen Kontakt auch Trancezustände zuzulassen. Es verändert die tradierte Rollendefinition des Therapeuten grundlegend, wenn der Körpertherapeut in gemeinsame Tranceerfahrungen mit dem Klienten abgleitet, nicht mehr die steuernde, kontrollierende Instanz darstellt.

Im Grunde verwies all dies auf eine Transformation der therapeutischen Grundhaltung. Es galt, ein tradiertes patriarchalisches Modell, das vom Ego-Verstand her agiert, zu korrigieren und zu erweitern mithilfe rezeptiver Bindungs-Qualitäten, die den intuitiven Ressourcen des Menschen entstammen.

Hier stand nicht mehr der (phallische) Therapeut als Macher, als Diagnostiker und Techniker im Fokus. Gefordert war ein hingebungsfähiger Mensch, der sich den Geheimnissen des Seins öffnet und seine intuitiven und liebevollen Qualitäten einzubringen in der Lage ist. Nicht die Rolle des Therapeuten, seine männliche oder väterliche Seite, die sich in der Welt dort draußen auskennt und sich dort sicher zu bewegen weiß, war gefordert. Sondern vielmehr die weiblichen und mütterlichen Qualitäten, die sich in der Welt von Intimität und Bindung, Einfühlung und Kontakt zuhause fühlt.

(Fortsetzung folgt)

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