Samstag, 9. September 2017

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (196): Meine erste Begegnung mit Michael Smith

Michael Smith (1937 – 1989)
Als ich den Raum zu unserem Kennenlernworkshop betrat, saß dort ein potentieller Zwillingsbruder des jungen Nick Nolte mit Buddha-Bauch. Ich hatte mir einen echten Reichianischen Therapeuten, zumindest, was seine äußere Gestalt anging, immer als eine Art Adonis vorgestellt, voller energetischer Spannkraft und erotischer Vitalität. Aber mit einem Wohlstands-Bauch?

Mit jeder Minute, die verstrich, verblasste dieser Eindruck. Es schwante mir, dass Michael über eine Präsenz verfügte, die nicht nur mich tief berührte. Das, was man als Charisma oder Ausstrahlung bezeichnet, davon verfügte Michael Smith reichlich. Seine Augen wirkten warm und hellwach, zeigten offenherziges, authentisches Interesse an anderen Menschen.

Er konnte auf magische Art Herzen berühren. Dies veranschaulichte Michael eindrucksvoll, wenn er mit Gruppenteilnehmern auf der »Matte«(*Im Gegensatz zur klassischen Psychoanalyse, in der die Couch den Ort repräsentiert, an dem »die Arbeit« stattfindet, steht im Zentrum der Reichianischen Körperarbeit eine Schaumstoff-Matratze, die auf dem Boden liegt: die »Matte«.*) arbeitete. Ich glaube, ich meldete mich als erster Kandidat für eine Session. Zwar hatte ich zu diesem Zeitpunkt durch die erwähnte Einzeltherapie und meine Teilnahme an Workshops und Selbsthilfegruppen bereits ein wenig Erfahrung mit Körpertherapie. Das, was ich mit Michael in dieser ersten Sitzung erlebte, stellte jedoch alles in den Schatten, was ich bis dahin kennengelernt hatte. Mein kopflastiges Verständnis dessen, was in der Körpertherapie passieren sollte, kam innerhalb weniger Minuten vollständig ins Wanken.

Es öffneten sich Kanäle, die mich in Verbindung brachten mit vergessenen ekstatischen Gefühlen, die plötzlich aus dem Nebel meiner Kindheit auftauchten. Die allumfassende Erotik, die ich verspürte, wenn ich als Kind im Wald spielte, erwachte zu neuem Leben: Bäume, Pflanzen, die gesamte Natur, Himmel und Erde erscheinen mir als pulsierende Lebewesen, mit denen ich mich Verbunden fühlte, die mich erhitzten, entgrenzten. Alles lebte, alles pulsiere vor Energie, voll süßer Erregung.

Ähnlich erging es mir nach dieser ersten Session mit Michael Smith, einer tiefgehenden körpertherapeutischen Erfahrung. Ich weiß nicht mehr, was Michael mit mir angestellt hat. Ich weiß auch nicht, welche Anteile idealisierender Übertragung an dem Ergebnis mitwirkten.

Ich erinnere mich allerdings gut an die Nacht nach dieser Session. Sie zeigte sich voller Erotik und ekstatischer Gefühle, verzückt betrachtete ich die Schönheit der Pflanzen im Park, des Nachthimmels auf dem Weg nach Hause. Und dann beglückte mich noch das Geschenk einer wunderschönen Liebesnacht mit einer Frau, in die ich mich auf einer Party im Haus verliebte. Das Leben zeigte sich verzaubert, wiederverzaubert, Glücksgefühle durchströmten mich wie Wellen, die nicht enden wollten. Es öffnete sich in dieser ersten Begegnung mit Michael das Tor zu einer körperseelischen Präsenz, die, wenn sie auch ein paar Tage später verblasste, als Geschenk, als inneres Gefühlsbild gegenwärtig blieb.

(Fortsetzung folgt)

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