Donnerstag, 11. August 2016

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (105): Das "Gute-Mutter-Phänomen"



Frau M., eine attraktive Frau Mitte 30, leidet an einer verzerrten Körper- und Selbstwahrnehmung. Sie kommt sich uninteressant und hässlich vor und begegnet mit großer Unsicherheit ihrer Lebensumgebung. Frau M. erinnert sich während ihrer ersten Sitzung mit energetischer Haltearbeit, dass sie von frühester Kindheit an Halt, Geborgenheit und liebevolle Berührungen durch ihre Mutter vermisst hatte. Sie erzählt, dass sie als Kind eine klare Vorstellung davon hatte, was sie eigentlich gebraucht hätte. Sie habe sich aber abgelehnt gefühlt und traute sich nicht, diese Bedürfnisse  ihrer Mutter gegenüber zu kommunizieren.
Eine Erscheinung, die dem im vorausgegangen Abschnitt beschriebenen „Stimmigkeits-Effekt“ bei der Berührung sehr ähnlich ist und dass auf der symbolischen Ebene erfahrbar wird, ist das „Gute-Mutter-Guter-Vater-Phänomen“.
Es ist erstaunlich, dass in jedem Menschen eine Vorstellung darüber zu existieren scheint, wie sich, im Gegensatz zum realen Elternteil, eine „gute Mutter“ oder ein „guter Vater“ verhalten hätte.
Es ist genau diese Vorstellung der guten Mutter oder des guten Vaters, die im transformatorischen Prozess wirkt und auf den Therapeuten – als positive Übertragung – übertragen wird.
Idealerweise wird der Therapeut zur guten Mutter oder zum guten Vater im Verlaufe dieses Prozesses. Es sind einerseits die aus den instinktiven Anlagen entstammenden Elemente, andererseits die aus dem narzisstischen Ego des Klienten geschaffenen idealisierenden Anteile zu unterscheiden.
Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal findet sich in der Authentizität versus Repräsentativität, d. h. instinktive Übertragungsanteile entstammen  den biologisch-seelischen Programmen, weisen einen Blick von innen nach außen auf und sind bei jedem Menschen identisch vorhanden (z. B. das Bedürfnis nach Halt, Liebe, Geborgenheit). Die aus dem Ego stammenden Übertragungsanteile repräsentieren gelernte Erfahrungen und Prägungen, einen Blick von außen (der Anderen) auf das eigene Ich und stehen in individuellem Zusammenhang mit der persönlichen Biographie.
(Fortsetzung folgt)

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